Bleibt die Inflation – was wissen die Märkte, das wir nicht wissen?
Tauscht man sich seit einiger Zeit mit Vermögensverwaltern, Fondsmanagern aber auch Privatinvestoren aus, so stellt man zeitgleich Freude und Verwunderung über die positiven Börsenentwicklungen der letzten 18 Monate fest. Wie kann es sein, dass trotz eher schwächelnder Wirtschaft, massiv gestiegener Zinsen und hohen geopolitischen Risiken nicht nur die Aktienkurse sondern auch Rohstoffe und Edelmetalle deutlich steigen? Ein solcher Parallellauf von Sachwertpreisen bei den genannten Belastungsfaktoren widerspricht allem, was Experten in ihrer Ausbildung gelernt haben und was in den vergangenen Jahrzehnten stets richtig war. Hat sich möglicherweise das Drehbuch an den Finanzmärkten verändert?
Vieles spricht für diese These, besonders die Entwicklungen seit Anfang dieses Jahres. Im Jahr 2023 verdichteten sich Zinssenkungsphantasien, man ging von einer dauerhaften Rückkehr zu niedrigen Inflationsraten aus und die Märkte prognostizierten noch im Dezember für 2024 sieben Zinssenkungen in den USA über insgesamt 1,75 %. Diese Hoffnungen haben sich aber völlig zerschlagen. Zwar ist die amerikanische Inflationsrate gefallen, aber sie bleibt deutlich oberhalb des 2%-Ziels der Notenbank. Spätestens seit dem März 2024 hätten die Aktienmärkte und Edelmetallpreise nach alter Lesart fallen müssen, die Inflationsraten fielen nicht weiter und die FED signalisierte, dass Zinssenkungen in einem solchen Umfeld nicht denkbar sind. Alte Börsenhasen kennen den Begriff „Zinsängste“, der immer fallende Börsen nach sich zog. Doch nichts passierte, ganz im Gegenteil stiegen die Börsen weiter und die Edelmetall- und Rohstoffpreise explodierten teilweise.
Die Erklärung liegt darin, dass die Finanzmärkte eine weitere große Inflationswelle sehen, die zu einer Entwertung von Geldvermögen führen wird. Die Blaupause scheint dabei die Inflationsentwicklung in den USA der 70er Jahre zu sein, in mehreren Schüben stieg die Inflationsrate auf fast 15 %. Der Vergleich mit der heutigen Lage ist frappierend:
Die blaue Linie zeigt die Inflationsrate von 1966-1983 (Skalierung unten und links), die gelbe Linie die Inflationsrate von 2013 bis heute (Skalierung oben und rechts). Beide Linien verlaufen fast deckungsgleich und nach dieser Grafik steht uns der größte Inflationsschub erst noch bevor.
Stimmt diese These, dann wird man mit festverzinslichen Wertpapieren und Festgeldern in den nächsten Jahren nichts verdienen, sondern real sogar viel Vermögen verlieren. Die Bank of America informierte ihre Kunden unlängst über die notwendige Anlagestrategie, die man mit „ABB“ bezeichnet, was für Anything But Bonds steht. Man empfiehlt also, nur in Sachwerte (Aktien, Edelmetalle, Rohstoffe etc.) zu investieren. Diese Strategie wird derzeit an den Finanzmärkten umgesetzt, die großen Geldverwalter (Fondsgesellschaften, Family Offices etc.) kaufen trotz aller Belastungen Aktien, was die Börsen so stabil oben hält.
Was könnte die Inflation wieder befeuern, gibt es neue Faktoren?
Aus unseren KümpersFinanz-Reports kennen Sie die strukturellen Inflationstreiber Deglobalisierung, Demographie und Dekarbonisierung. Die sog. 3D-Inflation wird in den nächsten Jahren vieles teurer machen! Im letzten Jahr haben sich weitere Treiber für Geldentwertung gezeigt. Die hohen Lohnabschlüsse (nicht zuletzt im deutschen Transportwesen) führen zu einer Lohn-Preis-Spirale. In den USA gibt es ein weiteres interessantes Phänomen, die Zahl der Pensionisten lag per Ende 2023 urplötzlich um 2,7 Mio. höher als erwartet. Der Wohlstandseffekt durch die boomenden Börsen hat viele zu einem früheren Ausscheiden aus dem Arbeitsleben veranlasst, dem Arbeitsmarkt fehlen diese Kräfte, der Lohndruck steigt.
Im Rohstoffsektor hat der Ressourcennationalismus weiter zugenommen und es zeichnet sich zusätzlich kaum bedienbare Nachfrage aus bisher nicht vermuteten Quellen ab. Der Boom der Künstlichen Intelligenz führt weltweit zum Bau großer Datenzentren, die u.a. hohe Kupfernachfrage nach sich ziehen. Zudem steigen die globalen Militärausgaben, die die Rohstoffpreise zusätzlich befeuern.
Die wohl am besten erkennbare Parallelität zum Ender der 60er Jahre besteht in der sog. „Guns-and-Butter“-Politik von Präsident Lyndon B. Johnson. Dieser wollte gleichzeitig engagierte Sozialpolitik (Great Society) und den Vietnam-Krieg. Auch heute sind massive Kürzungen im Sozialbereich politisch fast unmöglich, die Sozialausgaben für Rente und Gesundheit werden sogar weiter deutlich steigen. Auf militärischer Ebene kostet nicht nur der Ukrainekonflikt immer mehr Geld, zuletzt abzulesen an den Forderungen von Verteidigungsminister Boris Pistorius. In den USA gab es von 1966 bis 1970 einen ersten Inflationsschub. Heute darf man nicht nur von „Great Society“ sprechen, dominierend für weitere Ausgaben dürfte noch mehr die „Green Society“ sein. Das alles ging und geht auch heute nur über höhere Schulden, die inflationstreibend sind.
Die mit den höheren Budgetdefiziten einhergehende Erhöhung der Staatsverschuldung erschwert die mittelfristige Inflationsbekämpfung zusätzlich. Zum einen wirkt die zusätzliche Nachfrage preistreibend. Zum anderen erhöht die stärker steigende Staatsverschuldung den Druck auf die Zentralbanken, die Zinsen möglichst früh wieder zu senken. Je stärker die fiskalische Dominanz ausgeprägt ist, desto schwieriger wird es für die Zentralbanken, die Inflation durch eine straffe Geldpolitik in Schach zu halten.
Wie extrem die Staatsverschuldung in den letzten Jahren nicht nur in den Industrie- sondern längst auch in den Schwellenländern gestiegen ist, haben wir vielfach gezeigt. In unserer weltweiten Schuldenökonomie würde eine Deflation sofort zum Kollaps der Finanzmärkte führen. Daher ist Inflation politisch sogar gewollt, auch wenn uns oft Anderes suggeriert wird. Man kann die Schulden nur dann einigermaßen kontrollieren, in dem man sie über Inflation entwertet.
Fazit:
Das Drehbuch an den Finanzmärkten hat sich vollständig geändert, alte Gewissheiten gelten nicht mehr. Auch private Investoren müssen nolens volens an der Flucht in Sachwerte teilnehmen, um ihr Vermögen zu schützen, die Profis machen es vor.
In der nächsten Ausgabe analysiere ich Aktiensektoren, die immer noch extrem unterbewertet sind. Man muss sicher keine Angst vor Aktienanlagen haben.
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