Das Trauma der Deutschen – die große Inflation von 1923
Gibt es ein kollektives nationales Gedächtnis, sind wir Deutsche anders als unsere europäischen Nachbarn oder unsere Partner in den USA? Fakt ist, dass die historischen Ereignisse insbesondere in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts tiefe Spuren hinterlassen haben. „German Angst“ hat es sogar zu einem eigenen Wikipedia-Eintrag geschafft, die sich u.a. in einer zurückhaltenden Außen- und Sicherheitspolitik sowie einer Anfälligkeit für Weltuntergangsszenarien (Flüchtlingskrise 2015, Klimawandel, Finanzkrisen, Atomkraft, Covid 19 etc.) äußert. Offenbar werden bei uns potenzielle Risiken überhöht wahrgenommen.
Als Kapitalanleger sind Deutsche grundsätzlich eher risikoavers. Die Aktionärsquote ist trotz der Börsenhausse der letzten 12 Jahre immer noch erschreckend niedrig, der größte Teil der inzwischen 7,7 Billionen € Geldvermögen ist in Spareinlagen und Lebensversicherungen angelegt. Dafür lieben wir Gold, mit derzeit rd. 9.150 Tonnen sind deutsche Privatanleger pro Kopf die größten Goldbesitzer weltweit. Deutsche sind Verfechter von Bargeld und fürchten einen übermächtigen Überwachungsstaat. Auch auf der Finanzierungsseite herrscht deutsche Vorsicht, wir bevorzugen die eher teureren Kredite mit festen Zinsbindungen und mögen keine unkalkulierbaren variablen Zinsen. Offenbar gibt es ein nationales Finanzgedächtnis, das sich über Generationen entwickelt und für dessen Entwicklung Schlüsselereignisse entscheidend sind.
Der 1. Weltkrieg und seine Folgen
Ein solches Ereignis war der Ausbruch des 1. Weltkrieges am 4. August 1914. Auf den Wogen der nationalen Begeisterung und unter dem Eindruck, dass der Krieg ohnehin in kurzer Zeit gewonnen sein würde, machte sich niemand Sorgen über die Finanzierung der Kriegskosten. Der Goldstandard (damals Dritteldeckung, d.h. für jede Goldmark bei der Reichsbank wurden nur 3 Papiermark ausgegeben) wurde aufgehoben. Die Deutschen wähnten sich wirtschaftlich stark, von 1886 bis 1913 war der Anteil an der Weltwirtschaft von 17,2 % auf 26,6 % gestiegen, während zeitgleich der Anteil des British Empire von 38,2 % auf 30,2 % gefallen war. Das wilhelminische Reich hatte aber sehr geringe Steuereinnahmen, nur 3,5 % der direkten Steuern fielen an den Nationalstaat, eisern verteidigten die Länder ihre Steuerhoheit. Zudem hatte Deutschland keinen funktionierenden Finanzplatz und keine moderne Steuerverwaltung.
So beschloss Finanzminister Karl Helfferich, den Krieg über Schulden und nicht über Steuern, wie es England, Frankreich und später die USA taten, zu finanzieren. Technisch geschah das über Schatzanweisungen, die die Notenbank vorfinanzierte und die später über von der Bevölkerung als patriotischer Akt gekaufte Kriegsanleihen abgelöst werden sollten. Damit war die Saat für die spätere Inflation gelegt, was Helfferich als brillanter Ökonom und bester deutscher Geldtheoretiker seiner Zeit hätte wissen können. In der Bevölkerung selbst war der Begriff Inflation völlig unbekannt, in der Brockhaus-Jubiläumsausgabe von 1908 kam er nicht einmal vor.
Erhebliche Mitschuld an der späteren Hyperinflation trägt auch Rudolf Havenstein. Der ostpreußische Verwaltungsjurist war Präsident der Reichsbank von 1908 bis zu seinem Tod im November 1923, der auch das Ende der Inflation markierte. Havenstein war Staatsdiener par excellence, er bediente die ständigen Geldforderungen der Regierung und opferte die Unabhängigkeit der Reichsbank trotz aller Widerstände in seiner Behörde auf dem Altar patriotischer Pflichten. Von Geldtheorie hatte er keine Ahnung und bediente die Gelddruckpresse sowohl während des Kriegs und auch in den Nachkriegsjahren.
Ein weiterer Protagonist war Walther Rathenau,Sohn von Emil Rathenau, dem Gründer der Allgemeinen-Elektricitäts-Gesellschaft (AEG), die vor und während des Kriegs nach Krupp das zweitgrößte deutsche Rüstungsunternehmen war. Vom Vater für zu weich befunden für die Führung des Konglomerates bewegte er sich zeitlebens in einer Zwischenwelt von Intellektuellen und Industriellen.
Nach einem Gespräch mit Reichskriegsminister Erich von Falkenhayn wurde er Leiter des neu eingerichteten Kriegs-Rohstoffamtes, stellte die deutsche Wirtschaft mit hoher Effizienz auf Kriegsproduktion um und machte sie weitgehend autark. In der deutschen Bevölkerung genoss er eine hohe Verehrung, die für die spätere Hyperinflation noch von entscheidender Bedeutung werden sollte.
Werner Sombart war Professor für Staatswissenschaften (heute Volkswirt) und schrieb 1915 das Buch „Händler und Helden“. Damit legte er das pseudowissenschaftliche Fundament für die vermeintliche heldische Überlegenheit der Deutschen speziell gegenüber den „englischen Krämerseelen“, die alles nur kommerziell betrachten. Der deutsche Held zeichnet sich durch Opfermut, Treue, Tapferkeit, Frömmigkeit, Gehorsam und Güte aus. Bis heute hält sich dieses Gefühl der moralischen Höherstellung des deutschen Wesens gegenüber dem angelsächsischen Wirtschaftsbild, inzwischen wird davon auch unser Blick auf die USA erfasst. Die Konsequenzen zeigen sich in einer Verachtung des Geldverdienens mit Aktien, das aus Sicht vieler Deutschen nicht ehrlicher Arbeit sondern Schmarotzertum zu Lasten breiter Bevölkerungsschichten entspricht. Doch nicht nur bei der Geldanlage, auch beim Hang zu Eigentum oder Skepsis gegenüber unternehmerischer Tätigkeit mit einer Kultur des Scheiterns und Wiederaufstehens hallt Sombarts Buch bis heute nach.
Der 1. Weltkrieg ging verloren und er wurde für die Deutschen viel teurer als jemals gedacht. Bereits in den Kriegsjahren verlor die Reichsmark rd. 50 % ihrer Kaufkraft, das viele gedruckte Geld aus dem Nichts tat sein Übriges. Nachdem der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann am 9. November 1918 die Republik ausgerufen hatte, gab es gleich mehrere Probleme zu lösen. Da waren zunächst die Kriegsanleihen, die bei der eigenen Bevölkerung zurückbezahlt werden mußten. Die millionenfach entlassenen Soldaten kamen heim und wurden ebenso unterstützt wie die Kriegswitwen. In der Weihnachtszeit 1918 gab es Sonderzahlungen für Beamte und Unteroffiziere, Renten und Erwerbsunfähigkeitsbezüge wurden ab 1919 verdoppelt und Versehrtenbezüge stiegen um das Dreifache. Staatliche Behörden stellte Hunderttausende ohne wirklichen Bedarf ein, besonders bei der Reichsbahn. Alle diese Ausgaben wurden wiederum aus der Druckerpresse finanziert.
Die Entwicklungen ab 1918
Es gab aber auch positive Entwicklungen und kluge Köpfe in dieser Zeit. Um einer Verstaatlichung der Unternehmen zuvor zu kommen, wurde Hugo Stinnes aktiv. Der aus einer eher unbedeutenden Mülheimer Kaufmannsfamilie stammende Stinnes war mit rd. 600.000 Beschäftigten der größte Arbeitgeber Deutschlands und ein brillanter Unternehmer, u.a. gründete er das Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk (RWE). Zusammen mit Carl Legien, dem Vorsitzenden der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschland, handelte er das schon am 15. November 1918 unterzeichnete Stinnes-Legien-Abkommen aus. Auf diesem fußt bis heute die deutsche Sozialpartnerschaft, die sich u.a. durch einen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern paritätisch besetztem Zentralausschuss auszeichnet.
Matthias Erzberger war ab Juni 1919 deutscher Finanzminister und verabschiedete bis März 1920 verschiedene Reformpakete, die Deutschland endlich eine organisierte Steuerverwaltung gaben. Seine Gesetzgebung gilt als die Wichtigste der deutschen Steuergeschichte und gilt bis heute faktisch unverändert. Sie definiert sich über einen einheitlichen Steuerstaat und ein einheitliches Steuerrecht. Doch leider setzte sie sich erst viel später durch, für die Republik kam sie angesichts der untragbaren Belastungen zu früh.
Neben der Ruhigstellung der eigenen Bevölkerung und Altlasten kamen auf Deutschland die fatalen Folgen des Ende Juni 1919 unterzeichneten Versailler Vertrags zu. Zwar war es US-Präsident Wilson noch gelungen, die staatliche Einheit Deutschlands zu erhalten. Ansonsten waren die Verhandlungen aber so einseitig zu Lasten Deutschlands, dass der Ökonom und Teilnehmer an der Konferenz John Maynard Keynes diese unter Protest verließ. Ihm war bereits klar, dass es mehr um einen Knebel- als einen Friedensvertrag handelte.
Im Ergebnis kam es zum einen zu erheblichen Gebietsverlusten von rd. 13 % des Staatsgebietes, die Deutschland u.a. 19 % seiner Eisen- und Stahlindustrie, 16 % der Kohlereserven, 15 % des Ackerlandes und 48 % der Eisenerzvorkommen kosteten.
Zudem mußten 90 % der Handelsflotte abgeben oder versenkt werden. Viel gravierender waren die sich abzeichnenden Sachleistungs- und Geldforderungen, die faktisch nicht bedienbar waren. Insbesondere die Franzosen unter Staatspräsident Poincaré und Ministerpräsident Clemenceau zeigten sich besonders hartleibig.
Konkretisiert wurden die Finanzforderungen im Mai 1921 unter Druck des britischen Premiers Lloyd George. 132 Mrd. Goldmark oder mehr als das doppelte der Wirtschaftsleistung sollte Deutschland zahlen (in heutigen Verhältnissen rd. 6 Billionen Euro). Die deutsche Verhandlungsdelegation, u.a. mit Rathenau, Stinnes, Carl Friedrich von Siemens) war vor den Kopf geschlagen, zumal man bei Nichtzahlung mit der Besetzung des Ruhrgebietes, der damals leistungsstärksten Region Deutschlands drohte. Das Kabinett unter Kanzler Fehrenbach trat aus Protest zurück, in Deutschland brodelte die Stimmung.
Jeder der sich verdächtig machte, Anhänger der sog. Erfüllungspolitik, also der Umsetzung der Forderungen, zu sein, war mit dem Leben bedroht. Matthias Erzberger wurde am 26. August 1921 ermordet, Philipp Scheidemann überlebte als Bürgermeister von Kassel am 4. Juni 1922 einen Mordanschlag, Walther Rathenau wurde nur drei Wochen später in Berlin erschossen. Besonders Rathenaus Tod war ein Wendepunkt, denn als Außenminister hatte er auch aufgrund seiner Leistungen im Krieg einen hervorragenden Ruf. Mit seinem Tod war das Vertrauen in die Republik endgültig verloren. Ausgerechnet Karl Helfferich, inzwischen Wortführer der Rechtsnationalen, hatte mit Hassparolen gegen Erzberger und Rathenau zu deren Beseitigung aufgerufen.
Von 1919 bis 1921 war es deutsche Taktik, die Inflation hochzuhalten. Mit wertlosem Geld sollten die ehemaligen Kriegsgegner bezahlt werden und anders ließen sich die versprochenen Leistungen an die Bevölkerung auch nicht bedienen. Sowohl die Politiker, Reichsbank als auch Stinnes als wichtigster Repräsentant der Industrie waren sich hier einig. Die Amerikaner halfen Deutschland nicht, so lehnte u.a. J.P. Morgan jun. einen Kredit ab und warnte Lloyd George und Raymond Poincaré, dass sie die wirtschaftlichen Realitäten anerkennen müssen und von einem nicht zahlungsfähigen Deutschland auch nichts zu erwarten hätten. Im kurzen Zeitraum von Rathenaus Ermordung bis Ende 1922 verlor die Reichsmark gegen den US-Dollar 93 %. Am Jahresende stand Deutschland faktisch ohne funktionierendes Geld da. Jeder versuchte, so schnell wie möglich seine Mark in Nahrungsmittel und andere Sachwerte zu tauschen. Die Wertaufbewahrungsfunktion des Geldes war verloren, die Geldumlaufgeschwindigkeit und damit die Inflation stiegen dramatisch. Man fing auch an, in Aktien zu investieren. Von Oktober 1922 bis Oktober 1923 verzehnfachte sich der in der werthaltigen Goldmark notierte Aktienindex des Statistischen Reichsamtes. Das gesellschaftliche Leben geriet weitgehend außer Kontrolle, es blühte der Tauschhandel, in Berlin hatten Tanz- und Vergnügungstempel Hochkonjunktur und der Begriff „Raffke“ wurde geprägt. Damit meinte man Inflationsgewinner, die mit oft verbrecherischen Methoden zu Wohlstand gekommen waren und diesen in provokanter Form auch zeigten.
Die Alliierten akzeptierten 1922 bereits keine wertlosen Reichsmarkzahlungen mehr und forderten stattdessen Sachleistungen, wie Stahl, Kohle und Holz. Am 26.12.1922 stellte die Reparationskommission einen Rückstand der Lieferungen fest, worauf französische und belgische Truppen ab 11.01.1923 das Ruhrgebiet bis Dortmund besetzten. Kanzler Wilhelm Cuno rief zum passiven Widerstand auf, Industrie, Verwaltung und Verkehrsunternehmen traten in einen Generalstreik. Die Löhne von 2 Mio. Arbeitern im Ruhrgebiet wurden vom Staat übernommen, was ihn täglich rd. 40 Mio. Reichsmark kostete. Ewig durchhalten ließ sich das nicht, denn die Zahlungen erfolgten wieder aus der Notenpresse, Produktions- und Steuerausfälle belasteten den Haushalt. Der volkswirtschaftliche Gesamtschaden wird heute auf rd. 5 Mrd. Goldmark geschätzt.
In dieser Zeit galoppierte die Inflation, im November 1923 lag das Währungsverhältnis schließlich bei 1 US$ = 4,2 Billionen Reichsmark. Der Beginn des Ruhrkampfes war der letzte Sargnagel für die deutsche Währung, der neue Kanzler Gustav Stresemann beendete den Widerstand am 26. September 1923 und leitete zum Ende des Jahres die längst überfällige Währungsreform ein. Auf Grundlage der „Verordnung über die Errichtung der Deutschen Rentenbank“ vom 15. Oktober 1923 wurde im Oktober 1923 die Deutsche Rentenbank gegründet. Zu Gunsten der Deutschen Rentenbank wurden Immobilien von Landwirtschaft, Industrie und Gewerbe zwangsweise mit Hypotheken und Grundschuldenbelegt. Diese Sachwerte hatten unter der Hyperinflation nicht gelitten. Die Gesamtsumme der Hypotheken und Grundschulden belief sich auf über 3,2 Milliarden Mark in Gold („Goldmark“). Im Gegenwert der Immobilien gab die Deutsche Rentenbank zu verzinsende Rentenbankbriefe über 500 Goldmark oder ein Vielfaches davon aus.
Die Deutsche Rentenbank gab erste neue Banknoten mit dem Datum 1. November 1923 um den 20. November sowie neue Rentenpfennig-Münzen mit der Jahreszahl 1923 an die Bevölkerung parallel zu den umlaufenden hohen Milliarden- und Billionen-Papiermark-Nominalen sowie den in geringerer Anzahl kursierenden wertbeständigen Notgeldbanknoten aus. Die Abkürzung der neuen Währung war „Rent.M“. Maßgeblichen Einfluss auf die Einführung hatten der Nachfolger von Havenstein als Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht und Reichskanzler Stresemann. Die Rentenmark war „kein gesetzliches Zahlungsmittel, sondern Inhaberschuldverschreibung der Rentenbank“ (laut Büsch). Der Wechselkurs zur Papiermark wurde mit 1:1 Billion festgesetzt, und zwar genau am 20. November 1923 per Festlegung durch die Reichsbank Da die Rentenmark kein gesetzliches Zahlungsmittel war, bestand kein rechtlicher Zwang, sie als Zahlungsmittel anzunehmen (wohl aber mussten alle öffentlichen Kassen sie annehmen). Trotzdem wurde sie von der Bevölkerung sofort akzeptiert. Die Inflation stoppte deshalb schlagartig; man sprach vom Wunder der Rentenmark. Am 30. August 1924 wurde die Reichsmark zusätzlich zur Rentenmark eingeführt. Sie galt zur Rentenmark im Verhältnis 1:1, die Rentenmark selbst gab es bis zur nächsten Währungsreform im Jahr 1948.
Die Folgen der Inflation
Eine ganze Generation hatte ihre Ersparnisse faktisch verloren, die wirtschaftlichen und sozialen Folgen waren besonders für Rentner, Witwen, Kriegsversehrte u.a. dramatisch. Doch auch das Ausland litt unter dem Versailler Vertrag. Weil die Deutschen als Folge der Reparationsforderungen permanent billigste Güter exportieren mußten, blieb die Arbeitslosigkeit niedrig. Im Jahr 1922 waren nur 1,5 % aller Gewerkschaftsmitglieder arbeitslos gemeldet. Erst im Jahr 1923 kam es zum Zusammenbruch, die Industrieproduktion fiel um 34 % und die Arbeitslosigkeit stieg von Juli bis November von 3,5 % auf 23,2 %. Unsere europäischen Nachbarn erlebten dagegen seit Ende des Krieges eine jahrelange Wirtschaftskrise.
Der neue Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht agierte zunächst nach der Maxime „Nie wieder Inflation“, auch der Goldstandard wurde wieder eingeführt. Eine Ausweitung der Geldmenge war Ende der 20er Jahre tabu und die streng deflatorische Politik verstärkte die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf Deutschland. Die Massenarbeitslosigkeit führte zum Aufstieg Hitlers und Schacht war phasenweise sowohl Reichsbankpräsident als auch Reichswirtschaftsminister. Auch die Nazis hatten natürlich nicht ansatzweise das Geld, um Deutschland in dem gewünschten Maße aufzurüsten. So erfand er die sog. Mefo-Wechsel, einen vom Reich garantierten Wechselkredit bezogen auf die Metallurgische Forschungsgesellschaft mbH, von denen die Bevölkerung faktisch nichts merkte. Bis 1938 flossen dem Reichshaushalt nur über diesen Weg rd. 12 Mrd. Reichsmark zu, die vor allem in Rüstung investiert wurden, im Staatshaushalt aber nie zu sehen waren. Damit erwies sich Schacht später ebenfalls als Inflationstreiber.
Fazit:
Die deutsche Hyperinflation war ein Prozess, der sich über mehr als 9 Jahre von 1914 bis 1923 langsam entwickelte. Sie wurde begünstigt durch eine willfährige Notenbank, die für Kriegs- und Kriegsfolgekosten die Notenpresse anwarf. Die Weimarer Republik war schwach, Mehrheiten und Kanzler wechselten in schnellem Turnus. Die Ermordung weniger vertrauenswürdiger Personen führte zum finalen Vertrauensverlust in die Politik. Mit dem Aufstieg der Nazis hatte die Hyperinflation wenig zu tun, der Hitler-Ludendorff-Putsch vom 8./9. November 1923 wurde als Spinnerei nicht ernst genommen. Gewinner der Inflationszeit waren Sachwertinhaber, „Inflations-König“ war Hugo Stinnes, der seinen ohnehin vorhandenen Reichtum in dieser Zeit durch fremdfinanzierte Unternehmensübernahmen nochmals deutlich steigerte.
Maßgeblich für Inflation sind die mittelfristigen Inflationserwartungen der Bevölkerung. Es gibt den sog. Tipping-Point, wo das Vertrauen in Papiergeld verloren geht und breite Bevölkerungsschichten Bargeld nur noch so schnell wie möglich loswerden wollen. In Deutschland war das aus historischer Sicht die Ermordung Rathenaus.
Können wir heute aus der deutschen Hyperinflation lernen?
Das heutige wirtschaftliche Umfeld und die auch intellektuelle Qualität der Notenbanker ist sicher nicht vergleichbar mit den frühen 20er Jahren. Auch ist Deutschland nicht in einen Krieg verwickelt, auch wenn der russische Einmarsch in die Ukraine die geopolitische Landschaft der nächsten Dekade sicher massiv verändern wird.
Und trotzdem gibt es einige Entwicklungen, die Parallelitäten aufweisen. Die Verschuldung der westlichen Welt ist in den letzten 20 Jahren explodiert. Faktisch kein Land ist mehr in der Lage, Segnungen für die eigene Bevölkerung aus Steueraufkommen zu bedienen. Die Kosten der Coronapandemie werden ebenso über die Druckerpresse finanziert wie Infrastrukturmaßnahmen oder die Bekämpfung von Finanzkrisen. Für die Notenbanken gibt es heute kein Zurück mehr aus der Nullzins-Politik, viel zu groß ist die Abhängigkeit der Staaten und der Wirtschaft vom ewig billigen Geld.
Im Euroraum ist die Zentralbankgeldmenge seit 2008 um das 7-fache gestiegen, von 880 Mrd. € auf rd. 6 Billionen €. Die Wirtschaftsleistung stieg nicht ansatzweise so schnell, Professor Hans-Werner Sinn hat berechnet, dass in Relation zum BIP-Anstieg ein Geldüberhang von 4,9 Billionen € entstanden ist.
Derzeit erleben wir Inflationsraten wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Obwohl eine Reihe von Sondereffekten zum Tragen kommen, geht dieser Anstieg vor allem auf den zu hohen Geldumlauf zurück. Die Erwartung in der Bevölkerung ist aber weiterhin, dass sich die Inflationsraten und vor allem die Energiepreise in absehbarer Zeit wieder zurückbilden. Wir sind also weit entfernt vom Tipping-Point, auch wenn viele von uns sicher das Gefühl haben, dass das ewige Gelddrucken auf Dauer nicht gut gehen kann.
Die Investition in Sachwerten ist heute genau so richtig wie vor 100 Jahren. Geldwerte bleiben auf Dauer gefährdet, die Inflation wird aus unserer Sicht hoch bleiben. Unser Finanzsystem ist deutlich fragiler, als von den meisten Menschen empfunden. Nur noch eine Zentralbankplanwirtschaft hält alles zusammen. Inflation nutzt immer den Schuldnern, insoweit dürfen wir uns nicht wundern, wenn Staaten ein Interesse an hoher Geldentwertung und negativen Realzinsen haben.
Derzeit ist aber nicht erkennbar, dass wir eine derart ausufernde Situation wie 1923 bekommen. Trotzdem tun wir Deutschen gut daran, unser Anlageverhalten zu ändern und unser konservatives Geldsparen aufzugeben. Aktien, Immobilien und Edelmetalle gehören in jedes Portfolio, Sparvermögen stehen bei einer nur moderaten Inflation dauerhaft vor keiner guten Zukunft!